Dienstag, 31. August 2010

Der Verdacht des Mr Whicher

Im Landhaus der Familie Kent geschieht Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kindsmord. Der ehemalige Streifenpolizist Jack Whicher wird damit beauftragt den Fall aufzuklären über den das ganze Land spricht. Whicher beginnt mit seinen Nachforschungen, hat Motiv und vermeintlichen Täter schnell gefunden, doch die Öffentlichkeit hat Zweifel an der Schuld und bald muss der Inspektor selbst sich rechtfertigen.
Wer hier einen klassischen Krimi erwartet wird wohl enttäuscht sein. Zwar untersucht Inspektor Whicher einen grausamen Mord, präsentiert Täter und Motiv, aber der Fokus des Buches liegt auf der genauen Rekonstruktion des Tathergangs, der Ermittlungen und vor allem der Familiengeschichte anhand von Zeitungsberichten und Akten. So wirkt das Buch weniger wie ein Stück Literatur, vielmehr wie ein genauer Bericht, was der Lesefreude jedoch keinen Abbruch tut. Zwar scheint das lange Personeninventar zu Beginn verwirrend und die Beschreibungen Whichers früherer Ermittlungen werden zuweilen langatmig, lässt man sich jedoch auf den Stil ein, findet man ein genau recherchiertes Buch mit zahlreichen Anmerkungen, Quellenangaben, Fotografien und Karten, die das Geschehen greifbar werden lassen.
Am interessantesten für mich war die Verbindung des Roadhill-Mordes zu zahlreichen klassischen Kriminalgeschichten wie "The Moonstone" von Wilkie Collins, ganz nebenbei wird so ein Stück Literaturgeschichte erläutert. Aber auch die Erklärungen zur Entstehung der Kriminalpolizei und die genaue Darstellung des Alltags der Streifenpolizei im viktorianischen England lockern die Erzählung auf. Und ein wenig bleibt Summerscales Bericht dann doch noch Kriminalroman: Am Täter bleiben bis zum Schluss Zweifel.

Kate Summerscale - Der Verdacht des Mr Whicher
(ot: The Suspicions of Mr Whicher)
bvt, 2009
ISBN: 3833306424